Bauhauszeit

Werner Graeff:

Bemerkungen eines Bauhäuslers

Seit dem ersten Weltkrieg wandelte sich die Ausbildung des Künstlers grundlegend. Bis zu seinem Ende war noch die alte, konventionelle Akademie Trumpf. Dann kam ein Umbruch. Mein eigener Werdegang ist dafür vielleicht typisch.
Der erste Malunterricht, noch in meiner Schulzeit, gegen Ende des ersten Krieges und kurz danach, war als Vorbereitung auf die Akademie gedacht. 1917/18 - mit 15, 16 Jahren - kam ich zu einem recht tüchtigen Künstler mit Bart, Flatterschlips und Humor. Er führte mich in die Geheimnisse der Ölmalerei ein, indem ich eine seiner sehr bescheidenen Landschaften à la Corot kopieren mußte. Dann ging es an eigene Stilleben, an Akte im Atelier und Landschaften im Freien.
Mit 17, 18 kam ich zum zweiten. Auch er war liebenswürdig, heiter, tüchtig. Er belehrte mich über Komposition und eine flottere Art der Ölmalerei; denn er war Schüler von Schülern von Impressionisten. Diesen wirklich dankenswerten Privatunterricht genoß ich neben der Schule. (Genauer gesagt: neben intensiven Malstudien hatte ich auch Schule.) Im März 1920, nach dem Abitur, wollte ich von einer konventionellen Akademieausbildung nichts mehr wissen. Ich machte mich auf die Wanderschaft, auf die Suche nach "Meistern", von denen etwas zu lernen war.
Echte Meister zu finden, ist so ganz einfach nicht. In einem Dorf an der Oberweser geriet ich an einen Künstler, der sein kärgliches Brot als geschickter Naturalist und Illustrator verdiente. Zugleich war er ein schlechter Expressionist. Ich lernte leider nichts von ihm. Aber da ich ihm half, sein dörfliches Haus zu errichten - vom Steinebrechen im Wald bis zum Dachziegelunterstreichen - so wurde dabei wenigstens mein Sinn für einen einfachen, klaren Aufbau gestärkt. Das kam mir später zugute.
Von einem Noldeschüler lernte ich den Holzschnitt. Nur fielen meine Versuche weniger expressionistisch aus - eher halbkubistisch, einfach, ziemlich streng. Jemand glaubte darin bildhauerische Begabung zu erkennen.



Sisyphos, 1919 (Linolschnitt, 28 x 37 cm)


Soest war die nächste Station. Ein Holzbildhauer war so freundlich, mir das notwendige Werkzeug zu erklären und einige Anweisungen zu geben: Eichenholz erfordert eine Bildhauerbank und verursacht viel Lärm. Mir stand nur ein Hauklotz auf eisigem Hof zur Verfügung. So begnügte ich mich damit, Linden- und Pappelholz zu schlagen und zu schnitzen. Es handelte sich um Skulpturen ohne jedes Detail. Kubistische Einflüsse waren deutlich. Denn unter den modernen Strömungen, die mir bis dahin bekannt wurden, lagen mir weder der Expressionismus, noch der Futurismus. Dagegen zogen mich Kubismus und Nachkubismus (besonders in ihren strengsten, sparsamsten Erscheinungsformen) um so stärker an.
In Soest (mit 19) hörte ich zum erstenmal von Gropius, Feininger, Schlemmer, Klee und von jener neuartigen Kunstakademie, dem "Bauhaus" in Weimar. Ich sandte ein Paket mit Holzschnitten und Holzskulpturen und wurde angenommen. Mit 20 Jahren, 1921, bezog ich das Bauhaus.-
Hier traf ich eigentlich genau, was ich gesucht hatte: "Meister" - aber diesmal wirkliche Meister, große Persönlichkeiten - zuhauf. Niemals zuvor und niemals nach der Bauhauszeit in Weimar und Dessau hat es je eine solche Ansammlung hervorragender Künstlerpersönlichkeiten in ein und demselben Lehrkollegium gegeben, wie eben dort. Ja, die ungewöhnlich lebendige Atmosphäre dieser Kunstschule zog weitere Künstler in die Stadt. Unter ihnen wurde für mich Theo van Doesburg von Bedeutung, der holländische Maler, Freund und unermüdliche Propagandist Mondrians, der Herausgeber des "Stijl" (= Stil). Er selbst war nie Lehrer am Bauhaus, doch übte er durch Vorträge, Schriften, Diskussionen und durch einen eigenen "Gestaltungsunterricht" von außen her einen spürbaren Einfluß auf manchen Studierenden und selbst auf manchen Lehrer aus. (Besonders aber auch auf Gropius' wichtigsten Mitarbeiter: Adolf Meyer.)



Z-Stijl-1, 1921 (Ziehfeder auf Papier, 32 x 27 cm)


Doesburgs Gestaltungsunterricht unterschied sich von Ittens berühmter Bauhaus-Vorlehre grundsätzlich. Itten wie Doesburg waren gute Lehrer. Suchte Itten durch wechselnde Aufgaben die individuelle Veranlagung (die "impressive", "expressive", "konstruktive") herauszuspüren und zu fördern, so interessierte sich Doesburg ausschließlich für das Konstruktive. Wenn Itten herausfand, daß jedermann eine individuelle Farbskala bevorzugte, so propagierte Doesburg mit Mondrian eine allgemeingültige, überindividuelle Farbskala: Gelb/Rot/Blau + Weiß/Grau/Schwarz; diese bescheidenen Mittel, richtig angewendet, sollten den stärksten Ausdruck ermöglichen.
Doesburg war ein scharfer Gegner romantischer Strömungen. Er trug mit Vorliebe einen steifen schwarzen Hut und modisch geschnittene Anzüge - Itten hingegen war Anhänger einer mystisch-phantastischen Sekte. Er entwarf eine Art Priestergewand und schritt damit so ungeniert durch Weimar, wie Doesburg sein Monokel und die weiße Krawatte zum schwarzen Hemd spazieren führte (beide zum Erstaunen der Weimarer Bürgerschaft). Sie waren die größten Gegensätze, persönliche Feinde vielleicht, und dennoch einander verwandt in ihrem unerbittlichen Starrsinn, ihrer ungewöhnlichen propagandistischen, aber auch ihrer hervorragenden pädagogischen Begabung.
Was mich betrifft, so lernte ich (so lange es gut ging) bei Itten wie bei Doesburg. Die Begabungsrichtung war zweifellos "konstruktiv". So wandte ich mich alsbald stärker Doesburg zu; der Schritt zu "Stijl" und Konstruktivismus lag folgerichtig an meinem Wege. Mit einem "Manifest" (beliebter Ausdruck damals) "Für das Neue" wurde ich schon 1922 Mitarbeiter der Zeitschrift "De Stijl" und blieb Mitglied der Stijlgruppe, so lange sie bestand.
Ittens bleibendes Verdienst ist die Einführung der "Vorlehre", die seither unter diesem oder anderem Namen an jeder fortschrittlichen Kunstschule in aller Welt die Grundlage des Unterrichts bildet. Ein guter Grundkurs lockert den Anfänger, befreit ihn von konventionellem Ballast, indem er ihn mit den Mitteln und den Elementen der Gestaltung vertraut macht und die individuelle Begabungsrichtung aufdeckt. Der Grundkursus ist der wichtigste Unterricht, der Kunstunterricht schlechthin.
Vielleicht ist es nützlich, sich die Situation um 1920/1922 einmal genau vor Augen zu führen: die alte Akademie hatte jede Bedeutung verloren. Sie war überall in Deutschland genauso steril, wie es etwa die offizielle Pariser Kunstakademie noch heute ist - über 40 Jahre später; ohne jede Antriebskraft, ohne jede Wirkung, es sei denn als Hemmschuh der Entwicklung! Da lag Neues in der Luft, als ich mich selbst 1920 auf die Suche nach "Meistern" begab, bei denen ich mich schulen wollte. Vielleicht war es nicht bloß ein bißchen rebellischer Geist und ein wenig antikonventionelle Kühnheit: all dem lag gewiß ein gehöriger Schuß Romantik zugrunde. Gropius hatte proklamiert: "Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück... Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker ... Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker..." (...)

aus: "Graeff. Gemälde 1921/1963", Bochum 1963



Texte Werner Graeffs zu diesem Thema


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