Farbige Ruhrlandgestaltung

Werner Graeff:

Farbige Ruhrlandgestaltung

Menschen, die im Ruhrland aufwachsen, leben nicht gleich Italienern, Tessinern, Spaniern, Parisern in einer Umgebung, die dem Auge auf Schritt und Tritt Äußerungen eines alten Stilwillens bietet. Im Ruhrland wurde eine bescheidene bauliche Tradition vor Jahrzehnten bereits radikal abgebrochen, in wilder Plötzlichkeit durch gigantische Industrieanlagen überwuchert. Eine an sich reizvolle Landschaft ist nur strichweise natürlich belassen, im übrigen kreuz und quer von unzähligen Schienensträngen durchzogen, mit Schuttgebirgen bedeckt. Tümpel. Schnurgerade Kanäle. Förderbahnen. Häuserhaufen, Schrottlagerplätze, Schlote, und sehr viel Rauch, Feuer, Ruß, Staub.

Ist das die Atmosphäre, in der sich Künstler bilden, in der Künstler atmen können? Als Quell und Hort der Kunst gilt dieses Ruhrland eigentlich nicht.

Eben diesen Ruf aber könnte und sollte das Ruhrland sich erwerben. So paradox das klingen mag: hier sind die Vorbedingungen weit günstiger als fast überall sonst. Denn hier warten größere Aufgaben als andernorts. Aufgaben, die nur mit Hilfe tüchtiger Künstler zu lösen sind. Große Künstler bilden sich an großen Aufgaben. Nun wohl: im Ruhrland bleibt künstlerisch noch viel zu tun. Folkwangschulen und Folkwangmuseum sind der gewichtige Anfang. Organisatorisch wurden bereits weite Kreise erfaßt.

Was einem fremden Reisenden auf der Bahnfahrt etwa von der Ruhrmündung über Essen ins Westfälische hinein als ein sinnverwirrendes Chaos erscheinen mag, ist ja in Wahrheit ein echter Organismus von einmaliger Großartigkeit. Die Wildheit dieses Landes mag ihn ängstigen, so manche scheußliche Einzelheit ihn erschrecken, schwarzer Schmutz und grauer Dunst mögen abstoßen, trübe und trostlos stimmen. Mancher ist froh, wieder herauszukommen. Der Künstler empfindet anders. Ihn packt diese unverfälschte Größe und Weite, dieses echte Leben des Ganzen. Der gestaltende Künstler wird trachten, erkannte Mängel, soweit es auf ihn ankommen kann, zu beheben. Mit Vergnügen übernimmt er, daß die Rauch- und Rußplage bekämpft, daß übrigens auch die Bahnen elektrifiziert werden sollen. Das wird klarere Luft schaffen, mehr Sonne geben.

Landschaftsarchitekten, von jeher geübt, großzügig zu denken, schlugen "Hilfe durch Grün" vor, gerade auch im Ruhrgebiet und vor allem längs der Bahnlinien, doch so, daß die Industrieanlagen nicht etwa hinter Grün versteckt werden sollten - was ja übrigens meist auch praktisch gar nicht möglich wäre. Was begabte Baukünstler - im Gegensatz zu Leuten ohne Raumsinn und ohne Augen - gerade auch im Industriebau leisten können, beweist die Reise heute schon in Beispiel und Gegenbeispiel. Der Maler vermißt häufig die Farbe. Farbe belebt. Sie kann heiter, munter, lebenslustig machen. Nicht, daß nun alles in Farbe zu tauchen wäre. Kräftige Farben wirken ja umso besser, je sparsamer sie verwendet werden. Aber muß denn jedes und alles schwarz und grau und schwarzbraun sein? Sollten dazwischen nicht auch farbige Akzente sitzen? Eisenfachwerk, Fensterrahmen, Türen warten auf Anstrich. Ein paar Rohrleitungen. Der ein oder andere Gasbehälter, eine Förderbahn, Schornsteine. Da sind Zäune, Brücken, Werkswaggons. Bahnhöfe können durchweg farbiger sein. Hie und da machte man mit Blumen einen Anfang. Vor dem Auge des Künstlers ersteht die Vision einer einzigartigen Ruhrland-Komposition: Grünwuchs, Bauten und Fabrikakzente lösen einander frei ab, ergänzen sich, steigern sich wechselseitig, bilden ein harmonisches Ganzes. Auf der Bahnfahrt durch das Ruhrland ost- wie westwärts sei es schauend erfaßbar.

Hier kann zur Größe und Kraft die rhythmische Ordnung hinzutreten. Das Ganze darf kein starres Kunstwerk werden, da ein Organismus wie das Ruhrland lebendig, und somit veränderlich ist und bleiben muß. Aber wird nicht auch ein Park oder Garten geplant, der dann wächst und sich wandelt und dabei Jahr auf Jahr schöner werden kann? Es könnte wohl so kommen, daß man von weither reiste, nur, um das faszinierende Schauspiel einer Bahnfahrt durch das großartig gestaltete Ruhrland zu genießen.

Eine Utopie? Fragt sich nur, wie lange noch. Einmal muß diese wie manche andere große Aufgabe gelöst werden. Die Zusammenarbeit vieler Künstler wird das möglich machen. Das Ruhrland wird seine Künstler einmal sehr dringend benötigen. Eigentlich könnte es ihrer gar nicht genug geben - so viel bleibt ja zu tun. Man hört mit Verwunderung, daß der "Ruhrländische Künstlerbund" 130 Mitglieder zählt. Was tun sie, da ihnen die großen öffentlichen und die großen privaten Aufgaben fehlen? Sie arbeiten unverdrossen weiter! Sie bereiten die Lösung größerer Aufgaben vor und mühen sich um wichtige aktuelle Probleme des Ausdrucks.

Die Ausstellung beweist es. Mit modischen Strömungen hat das nichts zu tun! Der Ernst dieses Bemühens und der Idealismus, der dahinter steht, muß jedem Einsichtigen Achtung abgewinnen. Schönheit, Harmonie und Kraft so manchen wohlgelungenen Werks wird jedermann empfinden, der bereit ist, den Arbeiten geöffnet gegenüberzutreten. Will jemand mehr sehen, mehr erfahren? Gut denn: Geht zu den Künstlern ins Atelier! Wer Anteil an ihrer Arbeit nimmt, ist immer gern gesehen.

aus: "Ausstellung des Ruhrländischen Künstlerbundes", Essen, 1952



Grafiken Werner Graeffs zur farbigen Gestaltung des Ruhrgebietes, 1952



Texte Werner Graeffs zu diesem Thema


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