Fotografie

"Es kommt der neue Fotograf!" ist nicht nur der Beginn einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen zum Thema Fotografie, es wird Werner Graeffs bekanntestes Buch überhaupt. Mit Hans Richters "Filmgegner von heute - Filmfreunde von morgen" erscheint es 1929 als Begleitschrift der Werkbundausstellung "Film und Foto" in Stuttgart und jeweils der eine Autor ist Mitarbeiter beim Buch des anderen. Graeff tritt in seinem Buch für eine Neuorientierung des fotografischen Sehens ein, weg von bis dahin geltenden Konventionen über Bildausschnitt und Kamerahaltung. Als Beispiele bringt er Arbeiten von Künstlerkollegen aber auch aus dem eigenen Labor.
Nur ein Jahr später folgt das Buch "So sollten Sie fotografieren lernen!", das schon im Titel den Anspruch eines Lehrbuches erhebt und spätestens mit dieser Publikation kann sich Graeff als kompetenter Fotofachmann empfehlen.
So dauert es nicht lange, bis Graeff Angebote zur Übernahme von Lehrstellen an verschiedenen Hochschulen bekommt, so an die Kunst- und Gewerbeschule in Basel oder an die Berliner Kunstakademie. Für einen Unterricht dort erarbeitet er bereits Pläne und Konzepte, zu einer Anstellung kommt es jedoch nicht. Graeff gibt daraufhin eine Zeit lang Fotokurse an der Berliner Lessingschule, bevor er 1931 eine Lehrstelle für Fotografie an der damals bedeutenden Reimann-Schule in Berlin annimmt. Nach nur etwas mehr als einem Jahr, 1933, eröffnet er zusammen mit einer ehemaligen Schülerin, Christa Rummel, selbst eine Kunstschule für Fotografie, die "Berliner Fotoschule" in der Tauentzienstraße 3. Das Geld hierfür kommt zumeist von Verwandten und Bekannten. Da er kein "richtiger" Lehrer ist und erst nachdem die Fotoschule nominell als Kunstschule eingetragen ist, kann er sie auch offiziell betreiben. Aber schon ein Jahr später, im April 1934, emigriert er nach Spanien, später in die Schweiz.
Dort, 1940, eröffnet er zusammen mit der Schweizerin Anne de Montet die "Fotoschule Locarno", die hauptsächlich Kurse für Emigranten aus Deutschland anbietet. Hierfür schreibt er 1942 ein weiteres Lehrbuch: "Kamera und Auge".
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Mitte 1945, wird die Schule geschlossen und Graeff beginnt 1949 ein erneutes Mal, noch immer in der Schweiz, Fotokurse einzurichten. Für die Klubschule der Migros Handelskette in Zürich ist er bis Mitte 1950 als Lehrer tätig.
In die Zeit der Schweizer Emigration fallen auch eine ganze Reihe technischer Entwicklungen rund um das Thema Fotografie. So befinden sich im Nachlass Werner Graeffs Patentschriften und ein Prototyp einer Miniaturkamera, der Kleinkamera "Graeff", deren Umsetzung in ein marktfähiges Produkt aber nicht gelingt.
Erst 1951 kehrt Werner Graeff nach Deutschland zurück. An der Essener Folkwangschule baut er die Fachklasse für freie und angewandte Fotografie auf, deren Leiter er wird. Nach seinem Ausscheiden aus dem Lehrbertrieb, 1959, widmet er sich dann ganz der freien Kunst.

Neben seiner publizistischen Tätigkeit hat Graeff für die meisten der von ihm geschriebenen und herausgegebenen Bücher (nicht nur solchen über Fotografie) auch eigene Fotografien verwendet.



Umschlag: Es kommt der neue Fotograf! (Berlin, 1929)


Werner Graeff:

Vorwort

Dieses Buch hat das Ziel, Schranken zu sprengen - nicht Schranken zu errichten. Denn so nützlich fotografische Lehrbücher sind, soweit sie die Technik des Negativ- und Positivprozesses behandeln, so durchaus schädlich werden sie durch die Grenzsetzungen, die sich aus der üblichen Art der Darlegung ästhetischer oder künstlerischer Regeln ergeben. Die Form der in den fotografischen Fachblättern geübten "Bildkritik" und die Mehrzahl der fotografischen Ausstellungen zeigen klar, welch außerordentlichen Einfluß die dem Fotografen immer wieder gepredigten Maximen haben: man brachte es fertig, der Fotografie engste Grenzen zu ziehen, und nur relativ selten wird gewagt, diese Grenzen zu verlassen. Gewisse Regeln, die aus vergangenen Epochen der Malerei stammen, werden als eherne Gesetze hingestellt. Ihre Unhaltbarkeit läßt sich leicht erweisen. -

Bei der Intensität, mit der jene Regeln gepredigt werden, ist es nicht verwunderlich, daß sich die Industrie fast ganz auf die Fabrikation von Apparaturen verlegt hat, die zur Herstellung "regelrechter" Bilder nötig sind; allein hierdurch schon ist dem Fotografen das Abweichen vom vorgeschriebenen Wege erschwert. Es ist also notwendig, die Industrie auf die neuen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. -

Im folgenden ist die Technik der Fotografie nur berührt, soweit es die Hilfsmittel und Methoden zur Herstellung ungewöhnlicher Fotos betrifft. Denn dieses Buch will nicht die technischen Anfangsgründe der Fotografie lehren. Das Überwiegen von Fotos ungewöhnlicher Art möge man nicht mißverstehen: es soll gegen die normalen nichts gesagt werden. Ohne Frage wird in sehr vielen Fällen eine gute Aufnahme der üblichen Art dem Zweck am besten entsprechen. Wogegen wir uns wenden ist, daß man sie in jedem Fall für die einzig möglichen und richtigen hält. Denn ebenso fraglich ist es, daß in anderen Fällen mit Aufnahmen, die völlig gegen die "Regeln der Kunst" verstoßen und daher von den Zünftigen als falsch bezeichnet werden, der stärkste Ausdruck zu erzielen ist.

Berlin-Oranienburg, im Mai 1929


Kamera und Auge, Seite 95
Seite 95 aus Kamera und Auge, Kapitel 10 Minuten Optik und anderes, Basel 1942



Texte Werner Graeffs zu diesem Thema


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